Implantologie: Fall 9 (complex)

Abb. 1
Abb. 1 - komplett abgebauter, zahnloser Oberkiefer.

Ein 68 Jahre alter Patient hat während mehr als 30 Jahren eine Oberkiefervollprothese getragen und sich nie daran gewöhnt. Der zahnlose Oberkiefer ist komplett atroph (abgebaut) (Abb. 1). Hier wäre es unmöglich, sowohl von der Knochenbreite (transversal) sowie im Seitenzahnbereich von der Knochenhöhe (vertikal) wegen der Ausdehnung der Kieferhöhle enossale Implantate erfolgreich zu setzen.

Ich habe aber in zwei grösseren operativen Eingriffen den Kieferknochen vertikal und transversal in der Front und im Seitenzahngebiet aufgebaut. In einer dritten Operation habe ich die mukogingivalen Verhältnisse wieder korrekt hergestellt (Abb. 2). In Abb. 3 sieht man im vor-nachher-Vergleich auf den Gipsmodellen den Unterschied besonders deutlich.

Abb. 2
Abb. 2 - Situation nach Knochentransplantaten und nach Mukogingivalchirurgie im Oberkiefer.

Abb. 3
Abb. 3 - Oberkiefermodelle vor (links) und nach (rechts) Knochenaufbau.

In einer vierten Operation setzte ich die sechs Implantate auf den Millimeter genau an den geplanten Platz (Abb. 4). Die Rekonstruktion (Abb. 5) wird vor dem Einsetzen nach einer Methode so behandelt, dass sie auf den 1/1000 Millimeter genau spannungsfrei auf den Implantaten festsitzend verschraubt werden kann (Abb. 6). Die metallkeramische Brückenarbeit von Abb. 5 wurde von unserem Zahntechniker Stefan Schafroth angefertigt.

Abb. 4
Abb. 4 - Setzen von sechs Implantaten im Oberkiefer.

Abb. 5
Abb. 5 - Rekonstruktion, die auf den sechs Implantaten verschraubt werden soll, angefertigt vom Techniker Stefan Schafroth.

Abb. 6
Abb. 6 - Endresultat der verschraubten Rekonstrukion im Oberkiefer.

Das Resultat nach einjähriger Behandlung im Munde ist in Abb. 7 und 8 (intraoral) und in Abb. 9 und 10 (extraoral) gezeigt.

Abb. 7
Abb. 7 - Resultat der Behandlung intraoral nach einem Jahr.

Abb. 8
Abb. 8 - Resultat der Behandlung intraoral nach einem Jahr.

Abb. 9
Abb. 9 - Resultat der Behandlung extraoral.

Abb. 10
Abb. 10 - Resultat der Behandlung extraoral.

So höchst komplexe und anspruchsvolle Kieferkammrekonstruktionen können absolut vom chirurgisch sehr erfahrenen Zahnarzt in der Privatpraxis unter Lokalanästhesie realisiert werden, sofern das Knochenangebot aus der Kinnregion oder der Unterkiefermolarenregion genügend gross ist. Ist dies nicht der Fall, empfehle ich den Eingriff im Spital unter Narkose von Kieferchirurgen (Spezialisten) machen zu lassen, die den Knochen entweder der Hüfte, den Rippen oder der Kopfkalotte entnehmen. Alle weiteren chirurgischen Eingriffe wie Mukogingivalchirurgie und Setzen der Implantate werden wiederum vom chirurgisch versierten Zahnarzt ausgeführt.

Beschreibung der Operationen

Im hier besprochenen Fall habe ich in einer ersten Operation in meiner Privatpraxis in der Oberkieferfrontregion Knochen rekonstruiert (Abb. 11a und 11b). Zu diesem Zweck wurden zwei Knochentransplantate mit den Massen 15 mm lang, 9-10 mm hoch und 6-7 mm dick aus dem Kinn in die Oberkieferfront mit je zwei Schrauben fixiert (Abb. 12 klinisch und Abb. 13 röntgenologisch). Der Kinndefekt wurde mit Knochensubstituten sofort regeneriert.

Abb. 11a
Abb. 11a - komplett abgebauter, zahnloser Oberkiefer vor Aufklappung.

Abb. 11b
Abb. 11b - nach Aufklappung des Oberkiefers für die Knochentransplantation. Die ursprüngliche Knochenbreite an der Krete betrug in der Front nicht mehr als 1.5 bis 2 mm (grüne Pfeile).

Abb. 12
Abb. 12 - zur Anwachsung mit Schrauben fixierte Knochentransplantate.

Abb. 13
Abb. 13 - Röntgenbild der verschraubten Knochentransplantate.

In einer zweiten Operation wurde das Seitenzahngebiet vertikal (Sinuslift links und rechts) und transversal aufgebaut.

Dort wo die weisse Kugel im Röntgenbild von Abb. 14 sichtbar ist, wollte ich plangemäss das hinterste Implantat setzen (im Röntgenbild von Abb. 14 und 15 entspricht die rechte Bildseite dem Oberkiefer hinten). Da aber in der Höhe nur ein Millimeter dicker Knochen vorhanden war und dann die mit Luft gefüllte Kieferhöhle (Sinus) kam, musste natürlich vorgängig ein Sinuslift gemacht werden.

Nach dem Sinuslift und lateraler Augmentation mit einem Knochenstück aus der hinteren Oberkieferregion war die knöcherne Kieferbreite ca. 8 mm und die Knochenhöhe ungefähr 13 bis 14 mm (Abb. 15). Die beiden kommunizierenden Kammern der Kieferhöhlen konnten ohne Verletzung der Kieferhöhlenschleimhaut mit Eigenknochen und Substituten gefüllt werden (Abb. 15).

Abb. 14
Abb. 14 - Verlauf des Kieferhöhlenbodens vor dem Sinuslift mit den beiden kommunizierenden Kammern 1 und 2 der Kieferhöhle.

Abb. 15
Abb. 15 - Verlauf des Kieferhöhlenbodens 8 Monate nach dem Sinuslift.
Kammer 1: Prämolarenregion
Kammer 2: Molarenregion

Verlauf des Kieferhöhlenbodens vor
Sinuslift
Verlauf des Kieferkammes
-Gebiet zwischen gelber und grüner
Linie: ortsständige Knochenhöhe.
neuer Verlauf des Kieferhöhlen-
bodens.
-Gebiet zwischen roter und grüner
Linie: Knochenaufbau, Sinuslift.

In einer dritten Operation habe ich die Schleimhautverhältnisse der Mundhöhle (Abb. 16) nach verschiedenen mukogingivalchirurgischen Methoden wieder so korrigiert, dass alle Implantate, die in einer vierten Operation gesetzt wurden, zirkulär von gesundem, angewachsenem und verhorntem Zahnfleisch umgeben sind (Abb. 17).

Abb. 16
Abb. 16 - Korrektur der Schleimhautverhältnisse in der Mundhöhle.

Abb. 17
Abb. 17 - alle Implantate sind von gesundem angewachsenem und verhorntem Zahnfleisch umgeben.

Abb. 18
Abb. 18 - Die festsitzende Rekonstruktion mit provisorischen Füllungen (weiss) über den sechs Schraubkanälen.

Abb. 19
Abb. 19 - definitive Verschliessung der Schraubkanäle mit zahnfarbenem Füllungsmaterial.

Die festsitzende Rekonstruktion wird über Schraubenkanäle (weiss in Abb. 18) mit Schrauben in den Implantaten verschraubt. Nach einer bestimmten Tragzeit werden die Schraubenkanäle mit zahnfarbenem Füllungsmaterial definitiv verschlossen (Abb. 19).
Der Zahnarzt kann die Brücke jederzeit wieder abnehmen. Für den Patienten besteht, was den Tragkomfort anbelangt, zwischen einem festsitzenden verschraubten (aktueller Fall) und einem festsitzenden zementierten (Fälle 1-8) Zahnersatz kein Unterschied: beides fühlt sich an wie eigene Zähne.
Die gesamte Behandlungsdauer für diesen Fall, wie er sich schliesslich auf dem Übersichtsröntgenbild in Abb. 20 präsentiert, betrug 12 1/2 Monate.

Abb. 20
Abb. 20 - Übersichtsröntgenbild des abgeschlossenen Falles. Im Oberkiefer: festsitzend verschraubte Lösung. Im Unterkiefer: abnehmbare Prothese auf einem Steg fixiert zwischen zwei Implantaten (siehe Prothetik).

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